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Rede zum Haushaltsentwurf 2015 am 12.02.2015

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr verehrte Ratsmitglieder,

liebe Bürgerinnen und Bürger,

Sie, Herr Bürgermeister, hatten bei Amtsantritt sich selbst und der Verwaltung das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Haushalt künftig deutlich vor dem Jahresende einzubringen, so dass der bisherige Rhythmus der Vorlage deutlich verkürzt wurde. Daher liegt der Redaktionsstand des aktuellen Haushaltes 2015 gerade einmal acht Monate nach dem letzten verabschiedeten Haushalt aus dem März 2014. Bei unseren Haushaltsberatungen hat sich gezeigt, dass der frühere Abgabetermin nicht zu Lasten der Qualität der Zahlen und der Methodik als solcher gegangen ist, und dafür möchten wir vorab unseren Dank an die Verwaltung und insbesondere an den Kämmerer, Herrn Wiese, aussprechen.

Gleichwohl fühlen wir uns als Fraktion der Bürgergemeinschaft an einer Reihe von Stellen nicht wohl mit den Ergebnissen, die der Haushalt 2015-2018 aufweist, und so sehen wir uns in unseren Befürchtungen zur tendenziell negativen Bilanzentwicklung aus den Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre bestätigt.

Schauen wir uns daher kurz die wesentlichen Eckpunkte des Haushaltsplanes bis 2018 an:

  1. Der Schuldenstand wird gemäß der vorliegenden Planung noch in diesem Jahr 2015 bei 33,3 Mio. Euro betragen und erreicht im weiteren Verlauf bis 2018 einen Höchststand von 38,2 Mio. Euro1. Das bedeutet pro Kopf einen Schuldenstand von 3.418 Euro und dürfte im Kreis Soest mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal sein. Jedenfalls wären wir dann in der Pro-Kopf-Verschuldung 2018 höher als die Stadt Werl aktuell, die hier mal durchaus landesweit als Negativ-Referenz gegolten hat.

  2. Wir werden laut Plan in 2015 ein Ergebnisminus von -1,4 Mio. Euro und in 2016 ein Minus von -750T-Euro hinnehmen müssen, bevor wir im Jahr 2017 mit dem Haushaltsausgleich von +/-0 die Trendwende schaffen und in 2018 ein Plus von ca. +500 T-Euro als Gesamtergebnis erzielen werden.

  3. Erstmals in allen bisher von uns seit 2010 besprochenen Haushaltsplanungen sehen wir ab dem Jahr 2017 auch im Zahlungsmittelfluss eine strukturelle Trendwende mit einem Überschuss der laufenden Einzahlungen über die Auszahlungen aus Verwaltungstätigkeit.

Worin liegen die Ursachen für den überraschenden Überschuss? Hier ist im Bereich der Steuern zunächst die Grund- und Gewerbesteuererhöhung zu nennen, die ab 2015 mit jährlich mehr als 445.000 Euro2 in den Planungen enthalten ist. Damit allein wäre Wickede aber immer noch strukturell unterfinanziert und ein Haushaltsausgleich ohne Inanspruchnahme der allgemeinen Rücklage nicht in Sichtweite.

Denn der andere wesentliche Finanzierungsfaktor für Wickede ist die derzeitige Notunterkunft. Die Planwerte der Erträge kommen über den Umweg der erhöhten Einwohnerzahl Wickedes als Zuwendung aus Schlüsselzuweisungen vom Land und betragen für 2016 rund 900 T-Euro, für 2017 und 2018 dann jeweils 1.500.000 Mio. Euro.3

Nach Auskunft der Verwaltung sei es legitim, diese Zahlen aufgrund des nunmehr besseren Einwohnerverteilungsschlüssels für die Landesumlage anzusetzen.

Ergebnisverbessernd kommt auf der Ausgabenseite hinzu, dass der Gemeinde Wickede aufgrund der Notunterkunft keine neuen Asylsuchenden zur dauerhaften Unterbringung mehr zugewiesen werden, was die Aufwendungen im Planungszeitraum um jährlich etwa 50.000 Euro zusätzlich reduziert.4

Nun könnte man auf den ersten Blick meinen, dass bei einer Planung, die in zwei Jahren wieder mehr Einnahmen als Ausgaben verzeichnet, in Wickede finanziell alles in Butter sei.

Wir teilen diese Zuversicht nicht. Wir glauben, dass das Gegenteil eintreffen wird.

Nur mal als Beispiel für die Dimensionen, in denen wir uns hier bewegen:

Der Haushaltsplan geht von einer jährlichen Tilgungsleistung auf unsere Kredite von etwa 740 T-Euro ab 2018 aus.5

Wenn Sie die 38,2 Mio. Euro als voraussichtlichen Schuldenhöchststand in 2018 annehmen, dann dauert die vollumfängliche Rückzahlung unter diesen Planungsbedingungen etwa 50 Jahre bis hin zum Jahr 2068.6 Sollte ich mir demnach vornehmen, die Rückzahlung der Schulden, die u.a. in meiner Zeit als Ratsmitglied gemacht wurden, noch erleben zu wollen, dann feierte ich in dem Jahr der Rückzahlung meinen 100 Geburtstag.

Zu den ordentlichen Erträgen:

Die Verwaltung rechnet, aufgrund der durch die Notunterkunft erhöhten Einwohnerzahl, mit einer Schlüsselzuweisung in Höhe von 1,5 Mio. Euro. Dabei sehen wir die Gefahr, dass der Ansatz der Verwaltung deutlich zu hoch gewählt wurde.7 Der Betrag ist in allen Debatten zur Notunterkunft auch nie zuvor so kommuniziert worden. Allerdings können wir hier und heute auch nicht den Gegenbeweis antreten.

Es gibt aber noch weitere Unwägbarkeiten wie die Höhe der Gewerbesteuereinnahmen, die gemäß den Orientierungsdaten vom Land von einem anhaltend guten Konjunkturverlauf wie in den vergangenen Jahren ausgehen und kontinuierlich über jedes Planjahr mit einem Prozentfaktor beaufschlagt und höher angesetzt werden. Das Vorsichtsprinzip bei der Planung, etwa durch politisch bedingte konjunkturelle Einbrüche wie z.Bsp. aus den Sanktionen gegenüber Russland scheinen in der Erwartungshaltung keine Rolle zu spielen.

Trotzdem ist es natürlich seitens der Verwaltung methodisch legitim, diese Faktoren für die Planung anzusetzen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man auch aufgrund eigener Erfahrungen an diese Orientierungsdaten glaubt, und genau das tun wir nicht.

Zu den Aufwendungen:

Auf der Ausgabenseite bei den ordentlichen Aufwendungen sind von 2015-2018 keine nennenswerten Unplausibilitäten in der Planung zu erkennen. Bei den Personalausgaben steigen die Werte deutlich, sie sind aber unter anderem den Entwicklungen aus überregionalen Tarifverhandlungen geschuldet, die wir nicht beeinflussen können.

Bei den Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen und bei den sonstigen ordentlichen Aufwendungen sinken die Planwerte sogar leicht8.

Die Transferaufwendungen hingegen nehmen zu, und da diese hauptsächlich eine sich rechnerisch ergebende Größe dessen sind, was wir als Umlage für den Kreishaushalt zu zahlen haben, ist dies für uns als Gemeinderat unbeeinflussbar.

Der Kreishaushalt mit seinen Transferaufwendungen wird allerdings maßgeblich von den beiden großen Fraktionen der CDU und der SPD bestimmt9. Aus der Vergangenheit wissen wir von unseren Vertretern der Bürgergemeinschaften im Kreis, dass dort der Wille zum Sparen insbesondere bei den beiden vorgenannten großen Fraktionen sehr begrenzt ist. Zahlreiche Vorschläge der Kreis-BG insbesondere zur Personalverringerung der rund 1.000 Kreisangestellten wurden von den Mehrheitsfraktionen in den vergangenen Jahren abgelehnt.

Insofern möchten wir darum bitten, dass in Zukunft das ständige „mit dem Finger auf Soest zeigen“

wegen der kontinuierlich steigenden Kreisumlage unterbleibt, da dies auch ein Stück weit von Ihnen mitverantwortet wird. Sie haben dort die Hebel in der Hand, Sie müssen sie nur nutzen.

Bezüglich der bilanziellen Abschreibungen möchten wir der Vollständigkeit halber anfügen, dass die neu zu erwartenden Abschreibungen der großen Investitionspositionen wie die Westerhaar mit 1,5 Mio. Euro, die Sekundarschule mit rund 5,5 Mio. Euro, die Renovierung des Bürgerhauses mit 500 T-Euro und einer Reihe von kleineren Positionen gar nicht als Planwerte enthalten sind.

Das möchte ich hier nur schon einmal vorsorglich erwähnen, damit Sie nicht überrascht sind, sollten die Abschreibungswerte dann in drei Jahren deutlich höher sein als heute.

Soviel zu den laufenden Erträgen und Aufwendungen aus der Verwaltungstätigkeit.

Zu den Investitionen:

Bezüglich der Erweiterung des Industriegebietes Westerhaar haben wir unsere grundsätzlich ablehnende Haltung schon früher detaillert und eindeutig dargestellt und auch die Bedingungen genannt, unter denen eine nur teilweise Umsetzung des bisherigen Standes vorstellbar wäre.10

Bezüglich der Investitionen in die Sekundarschule betonen wir unsere kritische Grundhaltung gegenüber dem Gesamtprojekt als Kostenfaktor für den Haushalt. Gleichwohl erkennen wir an, dass die Schulleitung und das Lehrpersonal in den vergangenen drei Jahren einen herausragenden Job gemacht haben und die Schule mit enormen Einsatz und Herzblut vorantreiben. Dieser Einsatz sollte belohnt werden und auch Anerkennung in der Wickeder Elternschaft finden, die eines Tages die Entscheidung bezüglich der weiterführenden Schule für ihre Kinder treffen muss.

Um unserer Verantwortung gegenüber dem Schulprojekt gerecht zu werden, haben wir zu dessen Unterstützung die Erhöhungen bei der Gewerbe- und Grundsteuer mitgetragen.

Diese Entscheidung des Mitragens der Steuererhöhung ist uns so schwer gefallen wie es der SPD offenbar leicht gefallen ist, den Haushalt im vergangenen Jahr und auch in diesem Jahr mit dem Hinweis auf genau diese Steuererhöhungen abzulehnen.

Nun kann man tatsächlich einen Haushalt ablehnen, wenn man gute Gründe dafür hat. Aber die SPD, die in den vergangenen Jahren kaum einen substantiellen Sparvorschlag gemacht hat, hält an einer Begründung fest, die man entweder als mangeldes Fachwissen kennzeichnen muss oder die wir als aggressive Öffentlichkeitsarbeit ansehen.

Aber zurück zu den Investitionen in Sachwerte, denen wir generell gegenüber sehr aufgeschlossen sind, wenn diese für die Gemeinde finanziell vorteilhaft sind oder aber zumindest die Gemeindeentwicklung entscheidend voranbringen.

Wesentlicher zu nennender Punkt ist für uns hier die Entwicklung des Gebietes der Marscheidstrasse. Wie aber bereits in der letzten Haushaltsrede erwähnt, sollten wir zuerst interfraktionell nochmal die bisherigen Vorstellungen zusammenbringen, da unseres Erachtens die Zeit die einstmals in Auftrag gegebenen Gutachten in Hinblick auf eine anzustrebende Bebaungsverdichtung überholt hat.

Bezüglich der Notunterkunft möchten wir anfügen, dass sich die Gemeinde Wickede wahrscheinlich auf einen jahrzehntelangen Dauerzustand wird einrichten müssen. Das Land NRW wird nicht umsonst eine große Millionensumme in dieses Objekt gesteckt haben, um es anschließend nur kurzzeitig nutzen zu wollen.

Von daher müssen wir lernen, mit dieser Einrichtung am Rande Wickedes und dem beständigen Zustrom von Menschen umzugehen. Mir persönlich fällt insbesondere das Zugehen auf Menschen anderer Nationalitäten nicht leicht, und für wen das bereits eine Selbstverständlichkeit ist, der sollte sich vor Überheblichkeit gegenüber denjenigen hüten, für die das ein Problem darstellt.

Generell dürfte es angesichts der rasanten Ausbreitung von Terror und Gewalt keinen Zweifel mehr geben, dass diese Aufnahmeeinrichtungen im Land notwendig sind und auf Jahre hinaus gebraucht werden.

Eine davon steht nun in Wickede, und letztlich wird die von uns angestrengte Klage vermutlich daran nichts mehr ändern. Wichtig sollte es sein, Mitmenschlichkeit gegenüber den Asylsuchenden zu zeigen, offensiver Fremdenfeindlichkeit keinen Raum zu geben, aber als Gemeinde auch auf finanzielle Vergünstigungen als Ausgleich für den Verlust der gemeindlichen Planungshoheit zu pochen.

Denn letztlich ist der Bezug der Notunterkunft zur Haushaltsrede auch der, dass der Haushaltsplan durch die Schlüsselzuweisungen wesentlich getragen wird und überhaupt erst positiv wird.

Ich betone nochmals: Wir halten diese Annahme der Schlüsselzuweisungen für unrealistisch und es zudem für bedenklich, dass der planerische Haushaltsausgleich hauptsächlich durch die Schlüsselzuweisungen für die Notunterkunft gelingt.

Wir möchten an dieser Stelle sagen, dass der Haushaltsplan und dessen langfristige Nachverfolgung dadurch einen vollkommen anderen Stellenwert bekommt.

Wir schlagen den anderen Fraktionen und letztlich auch der SPD vor, dass sich der Rat in einem noch zu definierenden kleinen Kreis über langfristige Zielsetzungen der Gemeindeentwicklung und deren monetäre Bewertung Gedanken macht.

Ein anderer, vielleicht zusätzlicher Weg wäre der von den Grünen seit geraumer Zeit gemachte Vorschlag, die Haushaltsberatungen als interfraktionelle Arbeitsgruppe auszugestalten.

Letztlich geht es für uns darum, uns nicht jedes Jahr davon überraschen zu lassen, was die getroffenen Ratsentscheidungen einerseits und die äußeren Umstände von Zuwendungen oder Transferleistungen andererseits im Gemeindehaushalt bewirken.

Wir lehnen den Haushalt ab, weil er einerseits über nie zu Ende gedachte Maßnahmen wie z.Bsp. die Westerhaarerweiterung das Schuldenvolumen in eine nie gekannte Höhe trägt und weil wir die Darstellung der Ertragsseite für viel zu optimistisch halten, auch wenn sie aus der Planungsmethodik heraus legitim sein mag.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Für die Fraktion der Bürgergemeinschaft (BG) Wickede e.V.

Thomas Schäfer, 12.02.2015

  • Es gilt das gesprochene Wort -

 

1 Eigene Berechnung durch Fortführung der Zahlen im Haushaltsplan, ohne Gewähr, im Haushaltsplan sind Ende 2015 33,3 Mio. Euro veranschlagt, nach 2015 sind weitere Kreditaufnahmen geplant. (Anlage 5 Haushaltsentwurf)

2 Inklusive der Steigerungsfaktoren aus den Orientierungsdaten des Landes NRW von jährlich etwa 3%

3 S. S.224 + S. 226 Haushaltsentwurf 2015

4 S. 141 Haushaltsentwurf; darüberhinaus würde dieser Ansatz ansonsten wie in anderen Gemeinden ohne Notunterkunft ansonsten sogar steigen.

5 H -23 in HSK des Haushaltes 2015

6 Eigene Berechnung

7 Die Berechnung fußt offenbar auf der überhöhten Anzahl der gemeldeten Asylbewerber in Oktober 2014 von über 1000 Personen.

8 Siehe auch Grafiken am Ende des Textes

9 Wahl 2014 : CDU 29 / SPD 19 / Grüne 5 / BG 4 /FDP 3/ Linke 2 /AFD 2 / SO 1 /Piraten 1

10 Siehe Haushaltsrede vom 18.03.2014

Rede zum Haushaltsentwurf 2014 am 18.03.2014
 
 
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr verehrte Ratsmitglieder,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
 
ich werde in diesem Jahr die Haushaltsrede nicht wie gewohnt mit den Eckdaten der Haushaltes beginnen, sondern versuchen, aus unserer Sicht einige Aspekte der zukünftigen Situation der Gemeinde Wickede aus demographischer, industriepolitischer und bildungspolitischer Sicht zu beleuchten und mit unseren Anforderungen an die Haushaltspolitik 2014-2017 zu vergleichen.
 
Zu den demographische Rahmenbedingungen in der Gemeinde Wickede (Ruhr):
 
Wickede gehört zu den Gemeinden mit einer problematischen Altersstruktur, bei der bereits jetzt mehr als 44% der Bevölkerung älter als 50 Jahre sind.[1] Das ist im Landesschnitt nicht ungewöhnlich, aber es stellt sich die Frage, ob Wickede als Flächengemeinde mit seiner schwierigen, weil hügeligen Topographie nicht vor besonderen Herausforderungen steht, die größer sind  als bei anderen im Flachland der Soester Börde gelegenen Nachbarkommunen. Bei den Geburtenzahlen  zeigt sich in den letzten fünf Jahren ein recht stabiler Trend von etwa knapp 90 Kindern je Jahrgang. Rechnerisch ergibt sich daraus, dass ab 2018 dauerhaft eine jeweilige Zweizügigkeit in den Einschulungsklassen für die Melanchthon-und Engelhardgrundschule zu erwarten ist. Zum Vergleich: Als mein Sohn 2004 eingeschult wurde, waren beide Grundschulen  jeweils noch 3-zügig ausgelastet. Aus diesen beiden gegenläufigen Grundströmungen der Zunahme einer alternden Bevölkerung einerseits und der Abnahme an Jugendlichen andererseits ergibt sich in den nächsten Jahren ein zunehmender Anpassungsdruck auf die Gemeinde, der sich in allen Bereichen ausdrückt wie z.B. im Vereinsleben, in der Nutzung der Infrastruktur der Gemeinde und der Gemeindegebäude wie auch im öffentlichen Nahverkehr, in der Struktur des Einzelhandels in Wickede und  in der Nachfrage nach kulturellen Angeboten.
 
Derzeitig scheint die Gemeinde in all diesen Belangen noch gut aufgestellt. Die Probleme werden jedoch in der Anpassungsfähigkeit „nach unten“ liegen, also wie wir mit dem Schrumpfungsprozess der Bevölkerung umgehen. Erste sichtbare Tendenzen sind die Leerstände von Geschäften in Wickede oder Zeitungsberichte, die von Vereinsauflösungen berichten.
Es ist für uns keine Frage, ob solch eine Phase für Wickede kommen wird, es ist höchstens die Frage, wann genau in einigen Jahren die Talsohle dieses Schrumpfungsprozesses erreicht sein wird.
 
Zur Sekundarschule:
Das Megathema des Haushaltes ist die Erweiterung der Sekundarschule.
Die Sekundarschule ist die bei weitem größte Herausforderung, der sich die Gemeinde Wickede in den nächsten Jahren zu stellen hat. Die baulichen Veränderungsmaßnahmen dort steigern die langfristigen Schulden der Gemeinde von aktuell 14,5 Mio. Euro auf über 19,7 Mio. Euro, also um etwa 40%.
Die zukünftig laufenden Belastungen aus Zinsen, Abschreibung und Instandhaltungsaufwand sind nach derzeitiger Berechung auf 40 Jahre verteilt, mit einem Aufwand von 300.000 Euro jährlich.
Ob dies ein Betrag ist, den die Gemeinde Wickede überhaupt dauerhaft aufbringen kann, vermag niemand aus Verwaltung oder Politik zu garantieren.
Dabei sind wir inhaltlich dahingehend überzeugt, dass Wickede mit dieser Investition in die Gebäude und zusammen mit der gegenwärtigen Schulleitung und den Lehrern eine wirklich beispielhafte Sekundarschule wird anbieten können. Die Konzeption des Unterrichts an der Sekundarschule wird einen diskriminierungsfreieren Zugang zu den weiterführenden Schulformen als bisher für die jungen Schüler ermöglichen. Die Frage aus Haushaltsicht ist, für wen bauen wir diese Schule und was geht dann möglicherweise an bisher freiwilligen und liebgewonnenen Leistungen in der Gemeinde nicht mehr. Die Frage, für wen bauen wir, lässt sich beantworten. Bei der eingangs erwähnten Geburtenrate von 80-90 Kindern, künftige Tendenz unbekannt, und dem gegenwärtigen Anmeldeverhalten, wird in fünf Jahren vermutlich nicht viel mehr als die Hälfte der 450 Schüler aus Wickede kommen. Die andere Hälfte der Schüler müssen wir bis dahin aus allen umliegenden Gemeinden „abwerben“, also aus Ense, Neheim, Werl, Menden. Wir wissen nicht, ob das realistisch ist, allerdings muss man klar sehen, dass auch anderorts die Sekundarschulen wie Pilze aus den Boden schießen und damit das Label „Sekundarschule“ allein eben kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist, so wie wir das vor drei Jahren vielleicht geglaubt haben. Auf die Frage, „müssen wir zukünftig auf etwas verzichten“, und wenn ja, auf was, da dürfte derzeitig niemand eine Antwort haben. Und so sehr wir die Konzeption einer Sekundarschule befürworten, so sehr müssen wir auch die Risiken der Zukunft sehen, denn den Gemeindehaushalt stellen wir für sämtliche Wickeder Bürger auf und nicht nur diejenigen mit kleinen Kindern.
 
Zur Marscheidstraße- südlicher Bauabschnitt:
Die Konzeption der Bebauung auf der belasteten Industriebrache des ehemaligen Mannesmann-Geländes muss vollkommen neu überlegt werden. Es handelt sich um die letzte zentral gelegene, beinah brettebene Fläche in unmittelbarer Nähe zum Gemeindezentrum, mithin ein sogenanntes Filetstück. Der Rat hatte seinerzeit, von einem unbelasteten Gelände ausgehend, drei Planungsbüros mit der Konzeption einer Wohnbebauung beauftragt. Als Gemeinsamkeit hatten die drei Vorschläge eine recht aufgelockerte und wenig verdichtete Wohnbebauung aufgezeigt, in der sogar Einfamilienhäuser vorgesehen waren. In einem Fall war die Präsentation sogar mit einer nunmehr romantisch anmutenden Führung des Bachverlaufs der Lanfer mittig durch das Baugelände verbunden.
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Kontamination des Geländes höher ist als ehemals von der Verwaltung dargestellt. Die erhöhten Kosten des Wiederherstellung des Geländes machen es erforderlich, den Blick frei zu machen von Wunschvorstellungen und hinzuwenden zu den tatsächlichen Anforderungen. Im Kern schlagen wir eine deutliche Verdichtung der Wohnbebauung gegenüber den vorherigen Konzeptionen vor. Wir sollten dabei zweckmäßig denken und die Anforderungen einer alternden Bevölkerung einerseits und dem Wunsch nach Familienfreundlichkeit andererseits verbinden, indem wir in dieser Bebauung auch Wohnungsgrößen von über 80 m² möglich machen, die für Familien mit ein oder zwei Kindern als Alternativen zum eigenerstellten Haus interessant sind.  Insgesamt muss quasi der ganze Bebauungsplan im Hinblick auf die Bedürfnisse älterer Mitbürger und junger Familien nach bezahlbaren Mietwohnungen abgestimmt werden. Hierzu gehören kurze Wege ohne Hindernisse wie z.B. Treppen, eine gute Anbindung an das Wickeder Zentrum mit der Kirchstrasse, entsprechende Beleuchtungs- und Sicherheitseinrichtungen. Für die Vermarktung wird sich die Gemeinde mit professionellen Investoren zusammenschließen müssen. Zugleich müssen sämtliche mögliche Förderungen bezüglich Altlastenfond und der Gewässerverlegung maximal ausgeschöpft werden. Wenn eine Förderung von 80% durch den Altlastenfond nicht beim Schopfe gepackt werden kann, wird das Gelände auf Jahre hinaus eine offene Wunde sein, die mit finanziellen Mitteln der Gemeinde allein nicht mehr zu schließen sein wird.
 
Zur industriellen Entwicklung und Handel:
Die Gemeinde Wickede stößt mit Ihren Möglichkeiten zur Förderung von Industrie und Handel an Grenzen. Die wesentlichen beeinflussbaren Stellgrößen sind hier die Bereitstellung von baureifen Grundstücken in Industriegebieten und die Förderung der Geschäftsleute im Wickeder Zentrum durch das sogenannte Einzelhandelskonzept.
Was die Bereitstellung von Industrieflächen angeht, so ist dies in nennenswerten Größen ist nur noch in der Westerhaar möglich. Allerdings halten wir es für falsch, an dieser Stelle in einen ruinösen Wettkampf um Industrieflächen mit den Nachbargemeinden treten zu wollen, die den Vorteil eines flacheren Geländes bereits in der Tasche haben. Ohne im Detail unsere Bedenken erklären zu wollen, möchte ich hier zumindest einige der begrenzenden und schädlichen Faktoren stichpunktartig nennen. 1. ) Das Wickeder Klärwerk ist an der absoluten Belastungsgrenze 2.) Das Regenrückhaltebecken Wiehagen müsste größer dimensioniert werden als bisher. 3.) Ein erheblicher Teil der zu erschließenden Flächen ist starke Hanglage mit schwierigem Untergrund und last, but not least wird 4.) das Industriegebiet ein weithin sichtbares Hochplateau über Wickede bilden. Ein erhebliches flächenmäßiges Wachstum der Wickeder Industrie ist daher aus unserer Sicht nicht mehr zu erwarten.
Was den Einzelhandel in Wickede angeht, fühlen wir uns ohnmächtig angesichts der Tatsache, das in den letzten fünf Jahren die Schließung von nicht weniger als neun Geschäften mit langer Geschäftstradition stattgefunden hat. Hier ist jeder Bürger auch selbst gefragt, ob er anstelle des Interneteinkaufs seine Anschaffungen nicht bewusst bei den Händlern vor Ort tätigt.
 
Zu unserem grundsätzlichen Haushaltskurs:
Wir haben in den letzten Jahren versucht, oft gegen die Mehrheiten der anderen Fraktionen, einen Kurs der Haushaltskonsolidierung zu gestalten und mit möglichst wenig Geldmitteln auszukommen. Dafür wurden wir ab und an vehement angegriffen. Ich möchte daher kurz einige unserer früheren Vorschläge herausgreifen und bewerten:
- Dass es zum Beispiel 2010 in der Melanchthon-Sporthalle zur Sanierung der Heizung/Deckenheizung kam, ist unserem Widerstand geschuldet, die Heizungen von Gerkenhauptschule und Gerkensporthalle mittels eines Verbindungsrohres (Kostenpunkt 75.000 Euro) gemäß der Empfehlung des technischen Gutachters zu verbinden. Zusammen mit Restmitteln von 30.000 Euro aus dem Konjunkturpaket II, die ansonsten verfallen wären, konnte damit die Heizungssanierung an der Melanchthonschule vorgenommen werden. Ein positiver Nebeneffekt, von dem wir dabei heute profitieren, ist die Aussage des Bauamtes[2], die derzeitige Heizungsanlage der Sekundarschule habe soviel Überkapazität, dass sie die geplanten Erweitungsbauten an der Sekundarschule wird mitheizen können.
- Bereits in der Haushaltsrede zum Jahr 2010 findet sich  auch schon die Anregung durch uns,  langfristig die Grundschulen in der Gerkenschule zusammenzufassen. Eine Option, die die CDU nunmehr selbst in Zeitungsartikeln andeutet.
- Die BG hat sich bei dem Thema „Bücherei“ durch Kritik unbeliebt gemacht, aber die Folge daraus war eine betriebswirtschaftliche Untersuchung durch die Verwaltung, so dass fortan die Bücherei rund 10.000 Euro weniger kostete
- Die BG hat den Vorschlag der Erhöhung der Spielautomatenvergnügungssteuer aus ethischen und finanziellen Aspekten eingebracht
- Die BG hat versucht, die Bezüge des Rates dauerhaft um 10.000 Euro durch eine beantragte, aber abgelehnte Änderung der Entschädigungsordnung zu reduzieren.
- Die BG hat in 2011 gegen die Erweiterung der Physikräume (Kosten ca. 75.000 Euro) an der Westerheideschule gestimmt. Warum? Auf Landesebene haben die Fraktionen der SPD und der Grünen damals Mindestschülerzahlen beschlossen und die Westerheideschule damit zum Sterben verurteilt, auch wenn z.B. die Grünen das auf kommunaler Ebene nicht mehr wahr haben wollen. Dabei befürworten wir konzeptionell das bewährte System der Förderschulen bei einer behutsamen Fortentwicklung der Inklusion.
 
Wir werden auch weiterhin versuchen, realistische und sachgerechte Einsparungspotentiale herauszuarbeiten, auch auf die Gefahr hin, dass diese unpopulär sein sollten.
 
 
 
Finanzielle Aspekte des Haushaltes 2014 und Folgejahre:
Die Gewerbesteuereinnahmen werden für 2014 und 2015 mit jeweils 7,2[3] Mio. Euro angenommen, in 2017 sind es dann 7,7 Mio. Euro. Diese Planung mag nicht völlig unrealistisch sein, aber gemessen an den erzielten Zahlen der letzten Jahren sind wir damit am absoluten oberen Durchschnitt. Werden diese Planzahlen nicht erreicht, und das Risiko besteht, dann sind diese Erlöse nicht anderer Stelle kompensierbar. Sie wirken sich 1 zu 1 im Ergebnis aus, wobei wir uns vor Augen halten müssen, das wir erst in vier Jahren wieder ein Plus von gerade einmal 79.000 Euro für das Jahr 2017 auszuweisen. Dies zeigt die Fragilität der Annahmen, auf denen die Vierjahresplanung beruht.
Die Verschuldung der Gemeinde steigt in 4 Jahren von heute 26,1 Mio. Euro um 8,5 Mio. Euro auf 34,6 Mio. Euro an. Ausgedrückt als pro Kopf-Verschuldung eines Wickeders bedeutet das einen Sprung von 2.200 Euro auf voraussichtlich 2.900 Euro Ende 2017[4].
Um die Bedingungen des Haushaltssicherungskonzepts erfüllen zu können ist überdies als Maßnahme auch die Abführung der Gewinne des Gemeinde-Elektrizitätswerks in Höhe von 200.000 Euro vorgesehen. Diese Plansumme sollte unseres Erachtens aber nicht dauerhaft in den Haushalt eingerechnet werden, sondern wenigstens einige Jahre beim Gemeinde-Elektrizitätswerk verbleiben, um dort die durch Verluste in den Jahren 2009-2011 geschwächte Eigenkapitalbasis zu stärken. Dies würde die Position der E-Werke bei zukünftigen Verhandlungen über Kooperationen mit anderen E-Werken stärken und Vorteile bei der Berechnung von Netzentgelten gegenüber anderen Versorgern bedeuten.
Darüberhinaus fehlt uns ein Tilgungskonzept der Schulden für die nächsten Jahre. Es ist für uns ein offener Punkt, an dem der Haushaltsplan keine langfristige Idee oder Planung enthält. So gesehen fehlt uns auch einfach Zeit, die Planung in allen Details und den Auswirkungen für die Zukunft verstehen.
 
Ein kurzes Wort zu den Steuererhöhungen:
Die Ankündigung der SPD im Haushaltsausschuss, auf „Steuererhöhungen“ verzichten zu wollen, ist bereits von den anderen Fraktionen mehr oder weniger sachlich angegriffen worden. Nüchtern betrachtet erscheint es uns seitens der BG, als ob die SPD die vergangenen Jahre der Haushaltssicherung, der dazugehörigen haushaltsrechtlichen Formalien und die Folgewirkungen nicht wahrhaben möchte. Zudem verstellt Sie sich selbst und den Bürgern einen ehrlichen Blick auf die finanzielle Zukunft Wickedes. An die angekündigte Kaskade eines warmen „Geldregens“ von Bund über die Länder auf die Kommunen können wir nicht glauben. Und selbst wenn die Gemeinde unzweifelhaft Gelder aus der in Vorbereitung befindlichen Gesetzgebung die Kommunen erreichen, wissen Sie nichts über deren Zeitpunkt des Eintreffens, deren Verteilung und der tatsächlichen Höhe für Wickede. Wir als BG hingegen könnten die Steuererhöhung für sich betrachtet mittragen.
 
Klar ist jedenfalls in Sachen der Investition in die Sekundarschule, das Wickede hier keine halben Sachen machen kann, wenn der Stein erst einmal ins Rollen gebracht wurde. Die Gemeinde ist dann sozusagen zum Erfolg mit dem Ziel der Schaffung einer exzellenten Schule mit einem guten Ruf in der Region verurteilt, denn ansonsten haben alle Anstregungen und Investitionen keinen Sinn.
Das Volumen dieser Aufgabe wird die Gemeinde auf Jahre hinaus beschäftigen. Vielleicht müssen wir Wickeder als Selbstverständnis dann nicht mehr die oft zitierte „Industriegemeinde im Grünen“ nennen, sondern vielleicht heißt es dann eines Tages „Bildungsgemeinde Wickede“, um diese neue Ausrichtung deutlich zu machen.
 
Zusammenfassung:
Die Fraktion der BG wird den Haushalt ablehnen.Es gibt dafür zwei wesentliche Gründe. Der eine Grund ist die Kurzfristigkeit, mit der der Rat quasi alternativlos gezwungen ist, die nahezu zeitgleich eingebrachten Vorlagen der Investition in die Sekundarschule zum einen und den vorgelegten Haushalt zum anderen innerhalb von sechs Wochen zu bewerten und im Grundsatz entscheiden zu müssen. Für uns sind einfach noch zu viele Fragen offen, ob die Gemeinde diesen finanziellen Kraftakt stemmen kann. Und wir sind bei allem Engagement fachlich Laien, die einfach mehr Zeit brauchen, um diese komplexen und weitreichenden Entscheidungen mittragen zu können. Des Weiteren halten wir es schlichtweg für falsch, dass ein Rat zwei Monate vor Ende seiner Amtsperiode diesen Kraftakt beschließt. Wir sehen es trotz unseres abgelehnten Antrages, den Haushalt 2014 ff. nur mit den Planungskosten der Sekundarschule zu beschließen, nach wie vor als möglich an, dass zeitnah nach der Wahl die Investitionen in die Schule ggfs. über einen Nachtragshaushalt vom neuen Rat beschlossen werden können. Aufgrund der verlängerten Amtsperiode von 6,5 Jahren sind die neuen Ratsmitglieder auch diejenigen, die dessen Auswirkungen noch hautnah im Amt erleben werden.
 
Wir danken dem Kämmerer der Gemeinde, Christian Wiese, für seine Erläuterungen zum Haushalt.
 
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
 
Für die Fraktion der Bürgergemeinschaft (BG) Wickede e.V.
Thomas Schäfer, 18.03.2014


[1] Zensus 2011 für Wickede (Ruhr), Seite 17
[2] In der 2. Arbeitskreissitzung Sekundarschule so formuliert
[3] Mit neuem Anordnungssoll Gewerbesteuer gemäß Änderungsvorschläge Verwaltung für 2014 vom 10.03.2014
[4] Bei 11.800 Einwohnern, Verbindlichkeiten aus Anlage 5 Haushaltsentwurf und Haushaltssicherungskonzept Seite H 21 (Nettoneuverschuldung + 8,5 Mio. Euro)